In Wahrheit Winter

Der Blick von der Passstraße fällt auf die glitzernden Wellen den glitzernden Schnee. Um die Ohren weht die Meeresbrise das Sturmtief Ylenia und während die Gischt ein Graupelschauer für ein Gesichtspeeling sorgt, knirscht unterm Reifen ein verirrtes Sandkorn der Dünen der eiserne Panzer des Altschnees.

Dem aufmerksamen Leser dämmert's: Trainingslager im Alpenvorland hat im Februar nicht viel mit den sonnigen Meerblick-Serpentinen auf Mallorca oder Fuerteventura zutun, wo sich  gefühlt ALLE Radsportler des Nordens zwischen Neujahr und Ostern hin-beamen. 
Doch die (Trainings)Pläne sind geschmiedet, die ach-so-durchdachte Ernährung portionsweise vorgekocht und die Abwesenheitsnotiz verspricht nichts als die Wahrheit: "Ich lese meine Mails sporadisch und bei Schlechtwetter."

Ab jetzt stehen neun Tage Traininglager@home am Magnetboard. Strebsam hab ich die Touren überlegt, die sich zu dieser Jahreszeit überhaupt fahren lassen. Hab die Tage in Trainingseinheiten aufgeteilt, mit Kohlenhydraten und Eiweiß jongliert und vorgekocht – alles so, wie es das BIKE Magazin kürzlich empfohlen hat. Naja, fast. Rollentrainer hab ich keinen. Laufband auch nicht. Wer braucht schon den Firlefanz im Wohnzimmer, wenn er die volle Ladung "Mutter Natur" vor der Haustüre hat ….

Vom Winde verweht …

Montag. Bewölkt, trocken. Ich fahre morgens erstmal mit dem Rad einkaufen um festzustellen, dass es sich gleich anschließend doch ganz gut mit der "gemütlichen Laufeinheit" starten lässt.
Gemütlich ist ja ein dehnbarer Begriff. Aber wenn du mitten im Berglauf vom Sturm samt Regenschauer überrascht wirst, ist "gemütlich" wirklich kein Maßstab. Ich orientier mich an der Windrichtung und versuche, so sicher wie möglich wieder nach Hause zu kommen. Die hohen Wipfel biegen sich, es knackt gespenstisch. Das Smartphone (in der Rolle der Pulsuhr) stecke ich unter den SportBH und nehm meine Beine in die Hände …

Na gut, nachmittags also "nix mit Wald". Es sollte nicht die letzte Umstrukturierung der Trainingspläne in dieser Woche sein … Ich schwing mich auf's Gravelbike, versuch mich an einer recht "sicheren" Route abseits von Wäldern und bin überzeugt, dass der Wind ja irgendwann auch aufhören muss.
Tut er sicher auch. Nur nicht heute. Heut schiebt er mich erstmal von der Straße, zwingt mich vom Rad und … wer hätt's geahnt: zur Tourenänderung.


Großvati, Großvati, es hat geschneit …

Falsch, es schneit eigentlich ständig, sobald ich mich aufs Bike setze. Sonnenschein vorm Fenster! Bike raus! Babsi auf Bike. Schneefall. Graupelschauer. Alles, nur keine Sonne mehr.
Um es kurz und unmissverständlich zu machen, meine aktiven Trainingstage sind wetter-technisch wohl die besch***, ähm, schnee-reichsten Tage seit Neujahr. Am vierten Tag, ja, da ist es natürlich schön! Denn da steht "Fitness & Regeneration" im Kalender. Gartenarbeit macht sich aber eh in der Sonne lieber als im Schneeregen. Also ab durch die Hecke …

Die Trainingseinheiten der nächsten Tage fallen Forstarbeiten infolge des Sturms zum Opfer. Das bedeutet wieder eine Planänderung. Wenn ich mein Trainingstagebuch mit dem Plan am Magnetboard abgleiche, ist höchstens noch das Essen im Soll.
Apropos Essen: Semmelknödel, Haferflockenlaibchen, Sesamhühnchen auf Reis, Müsli, Käsebrote, Energieriegel, wenns länger dauert… Am Speiseplan steht mehr oder weniger das, was sonst auch dort steht. Lässt den Magen keine kulinarischen Purzelbäume schlagen – dafür dreht's ihn auch nicht über (was beim Hotel-Buffet im sonnigen Süden schon mal vorkommen kann).


Singing in the Badewanne …

Eigentlich wollte ich auch das Wellnessprogramm ganz Trainingslager-Like gestalten - mit Massage und allem drum und dran. Doch so spontan ist das terminlich nicht möglich und so reichts gerade mal für Wellness@home, passend zum Trainingslager@home. 

Zutaten für die Wellness-Einheiten sind also eine wärmende und kühlende Salbe, die Badewanne (schön langsam lern ich sie doch noch zu schätzen) und ein Tiefenentspannungsbadeextrakt. Wer braucht schon eine Hot-Stone-Massage, wenn er auch einen neuen Badeschwann haben kann.

Als Highlight in Sachen Wellness blubbere ich sogar vier Stunden im Solebad vor mich hin, während – typisch Regenerationstag – draußen die Sonne auf die Schneedecke knallt.
Ich kann mir also sicher sein: Sobald ich mich wieder aufs Bike schwinge, schneit's!


It's the final Countdown

Zum Grande Finale des Trainingslagers spielt der Februar noch mal seine April-Karte aus und wirft vom Himmel, was er zu bieten hat: Sonne, Schnee, Graupel, Regentropfen …
Kleine Wasserfälle am Wegesrand besprenkeln die Gräser und Zweige, die bei der Kälte zentimeterdick vom Eis eingehüllt werden.

Fotos von Rennradrunden auf Fuerteventura bei sonnigen 23 Grad springen mir vom Display entgegen, während ich die pitoresken Eisgebilde mit tauben Fingern fotografiere. 

Ob das hier die ideale Bedingungen für ein Trainingslager sind – ich wage es tiefgefroren zu bezeifeln. Aber eines hab ich in den vergangenen 9 Tagen ganz sicher traininert: Konsequenz + Wetterfestigkeit.




Was mich dazu motiviert hat, mein Trainingslager@home durchzuziehen, während andere auf den Kanaren in der Sonne brutzeln? 

Na 10 todernste Gründe für mein Trainingslager zuhause:

  1. Kein Gedränge im Pool. Meine Badewanne gehört mir und nur mir.
  2. Keine Reizungen durchs Massageöl im Spa. Meine Faszienrolle unterm Bett hat mir schließlich noch nie rote Pustel beschert.
  3. Kein Stress am Frühstücksbuffet. Brot, Butter, Marmelade – oder was der Kühlschrank hergibt. Damit spare ich Stunden gegenüber der unsäglichen Qual der Wahl am Hotelbuffet.
  4. Keine Unverträglichkeiten. Zuhause komm ich nämlich erst gar nicht in Versuchung, den kulinarischen Leckerbissen fremder Länder nachzusabbern. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt (nachdem es in liebevoller Handmatschgarei selbst zubereitet wurde.)
  5. Nichts versäumen. Egal, wie sehr mir die Schneewolke die Aussicht verhängt – weder den epischen Sonnenuntergang noch die Fernsicht von der Klippe kann ich hier versäumen. Schließlich kenn ich schon jede Wurzel und jeden Hofhund in jeder (Licht-)Stimmung.
  6. Keine Umwege. Ich versteh schließlich jedes Ortsschild und bin sowieso, wo ich immer bin. Das spart gleichermaßen Umwege wie neue Horizonte.
  7. Kein Spliss. Total Nervig, wenn nach 2 Wochen Sonne und Salzwasser die Haare ganz trocken abstehen. Dann lieber solides heimisches Quellwasser.
  8. Keine Verspannungen. Zumindest nicht von der Klimaanlage im Flugzeug. Dann schon lieber vom Sturmtief zuhause.
  9. Keine Augenreizungen. Nichts schlimmer, als brennende Augen, weil man den ganzen Tag von der glitzernden Sonne an der Meeresoberfläche geblendet wird. Ohne mich.
  10. Kein Urlaubsfeeling. Mal ehrlich: Diese Verständigungsprobleme im Restaurant, die kühlen Cocktails mit bunten Schirmchen, die Wasserballmatches gegen Urlaubsbekanntschaften und die kitschigen Sonnenuntergänge am Meer. Lenkt doch alles nur unnötig von einem ab: dem über allem stehenden TRAINING!

Für alle, die's genau wissen wollen: 

Das Trainingslager war als 9-tägiges Training angelegt, wobei Tag 4 und Tag 7 aktive Regeneration vor gab und das obligatorische Judo-Training am Folgetag in Summe dann 10 Trainingstage ergab. 

Mein Training bestand aus verschiedeneren sportlicheren Aktivitäten, als ursprünglich geplant, weil das Wetter ausgedehnte Touren einfach nicht zuließ. So standen Gravelbiken, Laufen, Dehnen mit Gewicht, Mountainbike, Fahrtechnik und Judo am Programm, die Regeneration bestand aus Gymnastik und Planschen. ;) 


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